Wie mag das alles zusammenhängen?
Gedankenspiele I
Die Weltgeschichte ist ein Labyrinth. Man kann nie genau sagen, auf welchem Weg sich ein Ereignis angebahnt hat. Dessen ungeachtet ist es immer spannend, sich neugierig in besagtes Labyrinth zu begeben, seinen eigenen Faden auszulegen und am Ende zu bestaunen, welche Ecken miteinander verknüpft zu sein scheinen. So lässt sich zum Beispiel ein Faden spannen zwischen Braunschweig, der klassischen Musik, einem Instrument und einer Organisation, die lange Zeit für ihre eigene Fädenzieherei berüchtigt war.
Freidenker
Beginnen wir mit Braunschweig:
Johann Joachim Christoph Bode kam in Braunschweig zur Welt und erhielt dort eine musikalische Ausbildung. Später zog er nach Hamburg und gründete seine eigene Verlagsanstalt. Bode begann Werke bedeutender Autoren wie Goethe, Klopstock und Lessing zu verlegen. Sein Engagement für die Verbreitung aufklärerischer Ideen machte ihn zu einer zentralen Figur der intellektuellen Szene seiner Zeit. Bode war Freimaurer.
Heinrich Engelhard Steinweg fertigte 1836 seinen ersten Flügel in der Nähe von Braunschweig. Bald zog er samt Familie nach New York, anglisierte seinen Namen und begannen dort mit dem Flügelbau. Nur der Erstgeborene – Christian Friedrich Theodor Steinweg – blieb zurück, um das väterliche Geschäft in der Heimat zu übernehmen. Die weltberühmte Firma ist heute unter den Namen „Steinway and Sons“ bekannt. Der junge Steinweg verbrachte viele Jahre in Braunschweig (noch heute residiert dort die renommierte Klavierbaufirma Grotrian-Steinweg) – und er war Freimaurer.
Ludwig (Louis) Spohr erblickte ebenfalls in Braunschweig das Licht der Welt und wurde im Alter von 15 Jahren Kammermusiker des dortigen Herzogs. Spohr war ein herausragender Geiger und machte sich zudem bald einen Namen als Komponist und Dirigent. Zwei Jahre lang war er Konzertmeister in Wien und lernte in dieser Zeit Ludwig van Beethoven kennen, den er als Künstler verehrte und persönlich schätzte. Spohr war Freimaurer.
Auch bei Beethoven gibt es übrigens Indizien, die darauf hinzuweisen scheinen, dass er zumindest teilweise eingeweiht war in das geheime Wissen der Logenbrüder. Dass er mit ihrem humanistischen Gedankengut sympathisierte, davon kann man ausgehen – seine Vertonung von Schillers Ode an die Freude dürfte jeden Zweifel hieran ausräumen.
Freimaurer
Doch wieso waren eigentlich so viele Braunschweiger Freimaurer? Vielleicht gab Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel den Anstoß, Herzog von Braunschweig und ab 1740 Mitglied in einer der ersten deutschen Logen. Fakt jedenfalls ist, dass schon die dritte Loge, die überhaupt in Deutschland gegründet wurde, in Braunschweig lag; zwischenzeitlich existierten parallel mindestens drei Logen in der Stadt.
Die Logen waren Orte, an denen Kontakte aufgebaut, Ideen ausgetauscht und heiß debattiert wurden. Viele Möglichkeiten also, um aufeinander und auf die Geschehnisse in Reichweite einzuwirken. Wer weiß, welche (Klang-)Ideale ein junger Steinweg in den Logen diskutiert und auf sein Flügelbau übertragen hat. Ist Lessing eventuell bei einem Treffen der Freimaurer auf seinen Verleger Bode gestoßen? Wäre Spohr genauso ehrgeizig gewesen, wäre er nicht durch den ständigen Selbstverbesserungsgedanken der Freimaurer angetrieben worden? Und wie würde Geigenspiel jetzt klingen, wenn er nicht den Kinnhalter erfunden hätte? Es sind viele kleine Zufälle, die eine gewisse „Stimmung“ ergeben. Es ist diese Stimmung, die große Veränderungen hervorbringt. Und einen entscheiden Beitrag dazu haben alle Genannten geleistet.
Gedankenspiele II
Ist es also ein Zufall, dass man im Staatstheater Braunschweig bald ein schönes Klavierrezital von Alice Sara Ott genießen kann – mit verschieden Beethoven-Sonaten, gespielt auf einem Steinway-Flügel? Dass Christian Tetzlaff hier ein Violinkonzert von Felix Mendelssohn spielt, dem Enkel des berühmten Philosophen und überzeugten Freimaurers Moses Mendelssohn? Oder dass Sabine Meyer Stücke von Bach und Mendelssohn in einem Konzert kombiniert?
Viel kann man darüber rätseln, das geheime Wissen der Freimaurer befragen – oder einfach selbst ins Konzert kommen, schöne Musik und eine ganz besondere Stimmung genießen. So wie bei eigentlich all unseren Konzerten.
Zum Reinhören: Unsere Solist:innen 2024/25
Weiße Weihnacht
Werke von Field und Beethoven
Kammerakademie Potsdam | Antonello Manacorda